Shapes Some shapes Some shapes Some shapes Some shapes Some shapes Shapes

Buchstaben im Kopf

zum Wettbewerb

Sigrid Sierleja

Apfellust

1. April 2024
60+ Jahre

Wie eine steinerne Löwin vor den Toren eines alten Schlosses lehnt die  Frau reglos im Türrahmen und zieht langsam und genußvoll an ihrer  Zigarette. Er tastet genauso langsam und genußvoll mit seinen Augen  ihren Körper ab. Ihre prallen festen Brüste sind eingebettet in einen BH  wie ein Weihnachtsgeschenk, das als Überraschung auf ihn unter dem  Tannenbaum wartet. Was diese Brüste für ihn zu etwas ganz Besonderem  macht, ist die Tätowierung auf der rechten Brust: ein rot-gelb-golden  leuchtender Apfel. Er kann seinen Duft schon riechen. Er schluckt schwer.  Lust kriecht unverhohlen in ihm hoch wie ein Tier, das nach kalter dunkler  Zeit endlich aus dem Winterschlaf erwacht.  

Seine Großeltern hatten eine Obstplantage, und während seiner  Schulferien verbrachte er jede freie Minute auf ihrem Land. Im Frühjahr  spielte er mit den anderen Kindern unter einem Dach aus weißen und  rosa Blüten. Im Sommer bewarfen sie sich oft mit unreifen Früchten, die  zu früh zur Erde gefallen waren. Im Herbst half er bei der Ernte und sah  seiner Großmutter bei der Verarbeitung des Obstes zu. Der Winter ließ die  Bäume nackt und kahl zurück und stimmte ihn stets traurig. Wenn er seine  Augen schließt, hat er den Apfelduft wieder in der Nase, die saftige Süße  des Fruchtfleisches auf der Zunge und schwimmt schwerelos in einem  Meer von Blüten.  

Selbst wenn er in der Zeitung oder auf einem Plakat nur die Abbildung  eines Apfels sieht, läuft ihm das Wasser im Mund zusammen. Und wenn  er eine Frau anschaut, die einen Apfel ißt, bekommt er sofort Lust auf sie.  

Als er an diesem Abend mit seinen Freunden nach einer ausgiebigen  Zechtour durch die schummrig erleuchteten Flure des Bordells torkelt und  diese Brust mit dem Apfel sieht, weiß er sofort, daß er ihn haben muß. Er  fragt die Frau nach ihrem Preis. Hundert Mark. Das erscheint ihm nicht  zuviel, obwohl er einen kurzen Augenblick überlegt, wie viele Kilo Äpfel er  von diesem Geld kaufen könnte. Doch dann steckt er ihr den Schein in  den BH; dabei berührt er behutsam die Tätowierung und erschauert bis  ins Innerste. 

Die Frau öffnet ihm die Tür zu ihrem Zimmer und fragt ihn nach seinem  Namen. Ansonsten ist sie nicht sehr gesprächig. Das ist ihm recht, er will  nicht reden, er will nur diesen Apfel. Wie Adam damals im Paradies. Sie  geht auf ihn zu, streichelt sein Gesicht, läßt ihre Hände langsam über  seinen Körper wandern und beginnt sein Hemd aufzuknöpfen. Er wehrt  sie ab und öffnet ihren BH, kommt dem Apfel immer näher. Als der BH zu  Boden fällt und ihre Brüste aus dem Käfig befreit sind, wird der Apfel noch  größer und schöner. Voller Bewunderung nimmt er ihre Brüste in beide  Hände und küßt sie gierig.  

Voller Zärtlichkeit bleiben seine Lippen auf dem Apfel haften, genußvoll  leckt er über die glatte rot-gelb-goldene Schale, spürt schon den süßen  Geschmack der Frucht auf seiner ungeduldigen Zunge. 

© Sigrid Sierleja, sisie43@yahoo.de 

Das Letzte, an das er sich erinnern kann, als er seine Zähne kraftvoll in  das saftige Fleisch des Apfels gräbt, ist ein spitzer, schriller Schrei, der  ihm durch Mark und Bein geht. 

Dann wird ihm vor Lust schwarz vor den Augen.

Dein Text soll auch hier stehen?