Buchstaben im Kopf
Kati Frädrich
Buchstaben im Kopf
Buchstaben hat Paula regelmäßig im Kopf. Für sie ist es eine Art Gefühl, dass sie von Kindesbeinen an begleitet. Genau wie Hunger oder Durst melden sich diese Buchstaben in unregelmäßigen Abständen und wollen raus, raus aus ihrem Kopf und rauf aufs Papier.
Paulas erster Vers entstand im Rahmen einer Hausaufgabe in der 4.Klasse. Die Kinder sollten ein frei erwähltes Gedicht für ihren allerersten Literaturwettbewerb auswendig lernen. Paula saß auf der Schaukel und überlegte. Dabei fiel ihr Blick auf Omas Blumenbeet. Und plötzlich hatte sie Buchstaben im Kopf. Wie vom Blitz getroffen sauste sie ins Kinderzimmer und schrieb auf, was ihr soeben eingefallen war.
Das Veilchen
Das Veilchen blüht versteckt,
nur der Frühlingswind hat es entdeckt.
Blumen, Bäume, Sträucher,
ja sogar die Wolken und der Wind
bewundern das Veilchen.
Doch die Rose
in ihrer stolzen Hose
platzt vor Wut
und trägt nun einen roten Hut.
Heute würde Paula das Wort „Hose“ durch „Pose“ ersetzen. Da es aber ihr allererstes gereimtes Werk ist, lässt sie es so wie sie es damals aufgeschrieben und vorgetragen hatte.
Die Pubertät führte Paula in die nächste kreative Phase. Ein nicht enden wollendes Gedankenkarussell brachte ihr viele schlaflose Nächte. Erst nachdem sie in Worte gefasst hatte, worüber sie nicht sprechen konnte, kam Paula wieder zur Ruhe. Gedichte wurden heimlich auf kleine Zettel geschrieben, diese dann sorgsam zusammengefaltet und in einem Kästchen sicher verwahrt. Dort schlummern sie übrigens noch immer.
Im Herbst 1989, während ihres Studiums, hatte Paula wieder Buchstaben im Kopf. Worte flossen aufs Papier und füllten die leeren Seiten ihres Notizbuches. So konnte sie Emotionen verarbeiten sowie ihren Ängsten und Gefühlen Ausdruck verleihen. Die politische Wende, bewegende Ereignisse im Freundeskreis, alles was ihr wichtig schien wurde zu Papier gebracht und schlaflose Nächte fanden ihr Ende.
Fernbeziehung
Züge kommen an
und Züge fahren ab
kostbar ist die Zeit
und oft sehr knapp
Tage werden zu Stunden
und Minuten zu Sekunden
weil unsere Gedanken
so eng miteinander verbunden
Worte bleiben ungesagt
und Fragen ungefragt
weil ein Blick die Antwort
schon vorweggenommen hat
Züge kommen an
und Züge fahren ab
Die Zeit dazwischen
mitunter Ewigkeit
Mit zunehmendem Alter wurde das Schreiben für Paula immer wichtiger. Aber um sich literarisch entfalten zu können, brauchte sie ein ganz besonderes Ereignis und Zeit, viel freie Zeit. Nur so bildeten sich Buchstaben in ihrem Kopf aus denen Gedichte und Geschichten entstanden. Es dauerte Jahre, bis sie das begriffen hatte.
Heute nutzt Paula diese Erkenntnis um vor Jahren Begonnenes zu beenden und neue Ideen umzusetzen. Wie früher bringt sie die Buchstaben, die in ihrem Kopf entstehen, zu Papier, schreibt Gedanken auf, wo auch immer sie ist.
Mit einem Gedicht, dass 2010, noch in der Nacht nach ihrem Museumsbesuch, in Remagen entstand, und von ihr in der letzten Woche geringfügig verändert wurde, möchte ich die kleine Reise durch Paulas Gedankenwelt beenden.
Die Brückenköpfe von Remagen
Schwarz vom Zahn der Zeit
und mahnend für die Ewigkeit
stehen sie am Rhein
Brückenköpfe -
Zeitzeugen aus Stein
Eine Brücke mit festem Stand
gebaut von Menschenhand
doch nur um Krieg zu führen
Brückenköpfe -
Zeitzeugen die berühren
Gegen das Vergessen im Land
ein Friedensmuseum entstand
in den Türmen aus Stein
Brückenköpfe -
Zeitzeugen am Rhein
Vielleicht fragen Sie sich jetzt woher ich Paula so gut kenne, dass ich ihre Gedichte trotz Urheberrecht hier niederschreibe? Paula ist mein Spitzname. Mein Vater hat ihn mir gegeben, Monate bevor ich geboren wurde.
Doch das ist eine andere Geschichte.