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Buchstaben im Kopf

zum Wettbewerb

Dagmar Fuld-Weinert

Der Ausflug der Skistöcke

4. März 2024
60+ Jahre

Winterwunderland! Mit weiß beschneiten Bäumen und vielen Zentimetern Schnee!

Am 18. Januar ist es so weit. Da heißt es, alles stehen und liegen zu lassen, wenn ich die Skisaison beginnen will, denn ich weiß ja: das kann auch rasend schnell wieder weg sein.

Diesmal am 22. Januar.

Der eine Skistiefel, der sich neulich im Pappkarton hinten in der Kellerecke versteckt hat, lässt sich willig und schnell finden. Die richtige Kleidung anzulegen und die nötigen Utensilien zusammenzusuchen – das ist Routine. Neu ist, das Deutschlandticket mitzunehmen. Es will ja auch ausgenutzt werden. Auf den Sonnenberg komme ich mit dem Bus wunderbar hin und genau so gut zurück.

Um 9.30 Uhr tobt das Leben am St. Andreasberger Busbahnhof. Als erstes fährt der Bus nach Herzberg ab, verlässt den Ort schnellstmöglich an der ersten Kreuzung. Dann kommt und fährt der Kleinbus nach Altenau, gefolgt vom wiederum großen Bus nach Bad Harzburg über Braunlage. Entsprechend viele Menschen stehen an der Haltestelle. Sofort ergibt sich ein Gespräch mit einer zweiten Skiläuferin. Sie reiste per Zug und Bus aus Göttingen an und will ebenfalls Richtung Altenau.

Der Kleinbus kommt, und redend legen wir die Ski in den Kofferaum, steigen vorne ein, und es geht los durch die Stadt. An der nächsten Haltestelle fahren wir durch, aber an der zweiten werden wir gestoppt; nicht weil jemand einsteigen will, sondern wegen einer wichtigen Information.

„Da sind Skistöcke am Busbahnhof stehengeblieben!“

Upps, das sind meine. Huch, wie ist denn diese Information so schnell hierher gelangt? Facebook? Was tun? Eine schnelle Entscheidung ist gefragt. Aussteigen und sich kümmern? Nein, dann wäre mein Bus ja weg, und der nächste kommt erst in zwei Stunden.

„Danke für die Info!“ sage ich - und bleibe sitzen. Denn da ist ein ganz altes Bild in meinem Kopf aufgetaucht: als ich den Skilanglauf erlernte, in einem professionell geleiteten Kurs, übte ich sehr lange ohne Stöcke, in der Ebene, hin und her, her und hin, um die Technik mit dem Abstoß aus den Knien gründlich zu verinnerlichen. Ich weiß also gut: es geht auch ohne Stöcke.

Nächste Entscheidung: steige ich an der Jordanshöhe aus und laufe über die Wiesen relativ schnell zurück? Oder bleibe ich bei meinem Plan für meine Lieblingsloipe? Die Schneewittchenloipe in Sonnenberg – schon der Name ist verlockend. Und die Runde immer wieder toll mit der überschaubaren Länge, ihrem Hoch und Runter und der schönen Abfahrt am Schluss. Meine Gesprächspartnerin ist skeptisch, aber jetzt will ich's wissen: kann ich es noch ohne Stöcke? Ich halte fest an der ersten Idee.

Und habe eine herrliche Tour auf der Schneewittchenloipe. Sie ist frisch gespurt, und nur zwei Menschen sind bisher drüber gegangen – wenn ich den Abdrücken trauen kann. Vielleicht sind ja auch noch andere mit freien Armen unterwegs. Vielleicht ist das ja tatsächlich das neue heiße Ding, wie später eine Gruppe von Spaziergängern vermutet!

Was für ein Erlebnis für die Arme! Nichts hindert sie am freien Schwingen. Und für die Beine! Die müssen hart arbeiten. Aber es geht, und es geht gut. Ich laufe strahlend, es macht richtig Spaß. Um 10 Uhr morgens an einem Donnerstag ist es noch ziemlich einsam, der Winterwald in seiner weißen Schönheit erfüllt alle Erwartungen.

Wenig erschöpft erreiche ich das Ende der Runde und klettere die letzte Abfahrt noch einmal hoch. Das ist schließlich besser, als an der Haltestelle auszukühlen. Und die letzte Abfahrt zu wiederholen, ist noch besser. Schon bin ich wieder drin im Sport. Jahr für Jahr staune ich, wie schnell das geht, in diese wohltuende schwungvolle Bewegung richtig hineinzukommen. Und wie gut ich mich hinterher immer fühle.

Spannende Frage bei der Rückkehr im Sankt: stehen meine Skistöcke noch da, wo ich sie vergessen habe? Nein. Ich laufe suchend am Busbahnhof herum, jetzt ist wenig los. Ich fluche. Aber dadurch tauchen die Stöcke auch nicht auf. Tatsächlich geklaut? Nein, hier doch nicht! Fundbüro? Ist weit weg. Scheint mir auch wenig wahrscheinlich. Kann ich zumindest anrufen. Aber erst von zuhause aus, denn ich habe kein Smartphone.

Ich gehe nach Hause und telefoniere zum Bürgerbüro. Aber es ist schon zwölf: keine nimmt ab. Die Touristinformation hingegen ist durchgehend geöffnet. Ja, sie würden auch Fundsachen entgegen nehmen, und nein, Skistöcke hat bisher niemand abgegeben.

Ich habe kein Smartphone, und ich bin auch nicht auf Facebook. Aber ich habe einen Sohn, der fit ist in diesen modernen Dingen. Weit weg, aber das ist ja völlig egal. Ihm emaile ich mein Problem. Ich bin sicher, dass die Stöcke nicht geklaut sind. Er fragt sofort nach: wie lang sind sie, wie sehen sie aus? Und stellt die Frage ein.

Zehn Minuten später habe ich die Antwort, verbunden mit einer neuen Telefonnummer: sie sind per Bus nach Bad Harzburg gereist! Und halten sich jetzt dort auf. Ach. Hm. So was. Wie ist denn das abgelaufen? Hat jemand ganz schnell geschaltet, die Info eingegeben und die Stöcke in den wenige Minuten später nachfolgenden Bus genommen oder gegeben in der Erwartung, ich würde doch bestimmt aussteigen und sie könnten mir direkt übergeben, sozusagen nachgetragen werden, von einem Bus zum anderen? Und dann fahre ich einfach weiter und überlasse die Stöcke ihrem Schicksal ...

Die neue Telefonnummer ist fast richtig und führt zur ganz richtigen, Betriebshof Bad Harzburg der KVG Braunschweig.

„Ich bin auf der Suche nach meinen Skistöcken. Ich habe sie heute um 9.35 Uhr am Busbahnhof in St. Andreasberg vergessen, und ich habe erfahren, dass sie in Harzburg gelandet sind.“

„Ja, die stehen hier“ kommt die prompte Antwort.

„Super!“ jubele ich und schiebe zerknirscht nach: „Da muss ich jetzt wohl zu Ihnen kommen, um sie abzuholen.“

„Wo wohnen Sie denn?“

„Sankt Andreasberg“ sage ich und denke kurz: ist das nicht naheliegend? Nein, ist es nicht. Ich könnte ja auch eine Ausflüglerin oder eine Touristin sein.

„Wir können die auch in den nächsten durchgehenden Bus legen und Sie holen sie ab an der Haltestelle. Moment, ich schau mal. - Ja, der um 16.20 Uhr fährt durch und ist um 17.16 Uhr in Sankt Andreasberg. Endhaltestelle?“

Echt jetzt? So ein Service? Ich bedanke mich herzlich. Ich verbringe den Nachmittag mit meinem Termin im Hinterkopf und stiefele zur passenden Zeit zur Haltestelle. Da kommt der Bus! Er hält, die Vordertür geht auf – und da stehen sie, gutgelaunt an den ersten Sitz gelehnt! Freudestrahlend fallen sie mir in die Arme. Schade, dass sie nicht erzählen können von ihrem Abenteuer.

Ein Hoch auf und Dank an alle Beteiligten!