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Buchstaben im Kopf

zum Wettbewerb

Reinhard Karlbowski

Die kleine Schneeflocke

3. März 2024
60+ Jahre

Eine Geschichte für Kinder und Erwachsene

Es war einmal eine kleine Schneeflocke, die lebte mit ihrer Mama in einer dunkelgrauen, sehr großen und dicken Wolke. Einen Papa hatte sie nicht. Sie meinte, schon immer in der Wolke  gewohnt zu haben, jedenfalls konnte sie sich an nichts anderes erinnern. In der Wolke lebten auch noch viele andere Schneeflocken und jede Minute kamen neue dazu.

Im Laufe der Zeit wurde es ziemlich eng in der Wolke. Es knackte und knisterte, wenn sich die Flocken berührten, und einige wurden dabei schon mal ungehalten und murrten herum. Eines Tages dachte die kleine Schneeflocke: „Ich halte das nicht mehr aus! Es wird ja immer enger!" Sie ging daher zu ihrer Mutter und sagte energisch: „Mama, ich möchte nach draußen! Oben auf die Wolke! Ich möchte die Sonne sehen!“

Die Mutter der kleinen Schneeflocke war sehr besorgt und wollte ihrem Kind den Wunsch, die Sonne zu sehen, nicht erlauben. Wegen der Wärme, die von der Sonne ausgeht.

Die kleine Schneeflocke schaute aber mit so sehnsuchtsvollen Augen, dass ihre Mutter sagte: „Na gut, aber wenn es dir auf der Wolke zu warm wird, kommst du schnell wieder herein.“ 

„Juchhu!“, rief die kleine Schneeflocke! und machte sich auf den mühsamen Weg nach oben. Entschuldigung hier, Entschuldigung da, dort einmal die kleinen Ellenbogen eingesetzt, hier und da ein paar Beschimpfungen von anderen eingesteckt, aber zu guter Letzt kam die kleine Schneeflocke oben an und steckte den Kopf aus der Wolke. 

„Oh, wie schööön! Hallo, Sonne, wie geht es dir?“, fragte die kleine Schneeflocke.

 „Gut, kleine Schneeflocke! Und dir?“, antwortete die Sonne lachend.

„Auch gut, danke!“, sagte die kleine Schneeflocke, die zur Höflichkeit erzogen war.

Danach stemmte sich die kleine Schneeflocke mit einer letzter Kraftanstrengung aus der Wolke. Sie baute sich ein kleines Wolkenbett mit Kopfkissen und so, legte sich hin und verschränkte die Kristallarme hinter dem Kopf. Da lag sie nun und bewunderte das Blau des Himmels, das Strahlen der Sonne und das unglaubliche Weiß der Wolken. 

„Danke, lieber Gott!“, sagte die kleine Schneeflocke immer wieder.

 Auf ihrem Wolkenbett vergaß die kleine Schneeflocke die Zeit und war nur noch glücklich, und die ganze Zeit lächelte ihr die Sonne zu.

 „Duhuuu, Sonne, … mir ist angenehm kühl und gar nicht warm, obwohl du mich ständig bescheinst. Mama hatte mich vor dir gewarnt, aber sei ihr deswegen nicht böse.“

„Ach was, habe keine Angst! Weißt du, hier oben bist du mir zwar näher als in der Wolke oder auf der Erde, aber trotzdem wird es dadurch für dich nicht wärmer. Es liegt an der Atmosphäre."

    „Ach so! Ganz schön kompliziert“, dachte die kleine Schneeflocke, ohne es wirklich zu verstehen.

 Die kleine Schneeflocke war so froh und glücklich, dass sie in der Sonne eine liebe Freundin hatte, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging und es auf einmal dunkel wurde. Die Sonne war nun verschwunden und statt ihrer erschien der Mond.

„Ooooh, wie schön“, seufzte die kleine Schneeflocke, „danke, lieber Gott!“

 „Hallo, lieber Mond, geht´s dir gut?“, fragte die kleine Schneeflocke.

„Na, klar - wie immer!“, antwortete der Mond.

„Sag mal, Mond: Nimmst du gerade zu oder gerade ab?“

 Die kleine Schneeflocke hatte mal in der Wolke etwas davon aufgeschnappt, dass der Mond so etwas macht.

 „Ich nehme gerade ab!“, sagte der Mond.

„Woran erkennt man das denn?“, fragte die kleine Schneeflocke.

„Also, das ist so: Wenn ich links rund bin, nehme ich ab und wenn ich rechts rund bin, nehme ich zu. Das kannst du dir ganz einfach merken."

 „Danke, lieber Mond. Du bist sehr klug“, sagte die kleine Schneeflocke, „kannst du mir auch sagen, wo mein Papa ist?“

Der Mond wurde etwas blasser und hatte eine Träne im Auge. „Nein, liebe kleine Schneeflocke, das weiß ich leider nicht.“

Die Sonne, auf der anderen Seite der Erde, verfolgte das Gespräch und ihr ging es ähnlich wie dem Mond. Sie war bestürzt.

„Schaaade!“, seufzte die kleine Schneeflocke.

„Weißt du, kleine Schneeflocke, wir haben ja alle den gleichen Vater im Himmel, der uns geschaffen hat. Mich, die Sonne und dich“, versuchte der Mond zu trösten.

Aber gerade in diesem Moment tröstete das die kleine Schneeflocke überhaupt nicht. Trotzdem sagte sie mit ihrem reinen Herzen ganz leise: „Danke, lieber Gott. Du machst keine Fehler.“

Ansonsten war aber alles gut und es änderte sich wenig. Bis auf diesen einen Tag, das heißt, bis auf diese eine Nacht, denn es war dunkel. Ja, plötzlich geschah es.

Zuerst hörte die kleine Schneeflocke nur ein leises Knistern und Knacken, das aber immer lauter wurde. Die große Wolke öffnete ihre Fenster an der Unterseite und alle Schneeflocken fielen heraus. Es war ein nicht enden wollender Strom an Schneeflocken. 

 Als unsere kleine Schneeflocke zwischen den vielen fallenden Flocken die Mama sah, war sie sehr erschrocken. „Maamaaa!“, rief sie, „warte auf mich, ich komme!“

Allen Mut zusammennehmend, sprang die kleine Schneeflocke oben von der Wolke. Ohne Mama wollte sie nicht sein, wo sie doch schon keinen Papa hatte.

Erst dachte die kleine Schneeflocke, dass sie abstürzen würde, aber nein, welch ein Wunder, sie schwebte sanft und leicht und langsam dahin. „Oh, ist das schön“, flüsterte die kleine Schneeflocke, „so kann es immer sein. Immer fliegen, ohne Sorgen. Danke, lieber Gott!“

Sie holte ihre Mutter ein, flog und tanzte um sie herum und war nur glücklich, dieses Abenteuer mit Mama gemeinsam erleben zu dürfen.

Ab und zu schaute die kleine Schneeflocke zur dunklen Erde unter sich. Dort sah sie ganz viele große und kleine Lichter. Darunter auch viele bunte in allen möglichen Farben des Regenbogens. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett und eine Vielzahl von Kombinationen aus diesen Grundfarben des Regenbogens.

 „Kann es sein, dass es schon Weihnachten ist?“, dachte die kleine Schneeflocke.

 Die Lichter sahen fast so schön aus wie die Sterne am Himmel, aber auch nur fast, denn beim genauen Hinschauen kann man auch am Himmel bunte Sterne erblicken, und außerdem hat Gott die Sterne gemacht und nicht die Menschen. Deswegen können die Sterne nur schöner sein.

Bald war es nicht mehr weit bis zur Erde und die kleine Schneeflocke sah schon die Kinder, die dort im Schnee spielten und sich sehr darüber freuten. Einige Kinder sangen ein Lied über eine Schneeflocke, was die kleine Schneeflocke sehr schön fand, weil es sie offenbar willkommen hieß. Freudig, ja glückselig, lauschte sie den Klängen: „Schneeflöckchen, Weißröckchen, wann kommst du geschneit? Du wohnst in den Wolken, dein Weg ist so weit.“

Unser kleines, dahinschwebendes Schneeflöckchen war so glücklich, dass es willkommen geheißen wurde. 

 Immer näher kam das kleine Schneeflöckchen der Erde. Um es herum jauchzten und freuten sich die anderen Schneeflocken. Jeder wollte den besten Platz auf der Erde erreichen. Das war, ihrer Meinung nach, zum Beispiel eine Wiese, das Blatt eines Baumes, das Dach eines Hauses oder auch schon einmal die Mütze eines Kindes. Auf jeden Fall mussten die begehrten Plätze kalt sein. 

 Einige Schneeflocken überholten die vor ihnen fliegenden und stießen sie ziemlich rücksichtslos zur Seite. So wurde auch unsere kleine, liebe Schneeflocke angestoßen, kam dadurch vom Kurs ab und flog direkt auf den Mund eines Menschenkindes zu, das mit seiner Zunge Schneeflocken auffangen wollte, weil das so schön auf der Zunge kitzelt. 

 „Nach rechts oder links – schnell!“, hörte sie noch Mama rufen, die nun furchtbare Angst um ihr Kind hatte. Eine kleine Schneeflocke auf einer warmen Zunge, das konnte nicht gutgehen.

Aber es war zu spät, denn die kleine Schneeflocke war schon mitten auf der Zunge des Kindes gelandet. Nach dem ersten Schreck merkte die kleine Schneeflocke aber, dass das gar nicht weh tat.  Sie dachte nur noch an ihre Mama und das Menschenkind, dass sich so sehr freute, weil es schneite.

Und jetzt war die kleine Schneeflocke auch nicht traurig, als sie merkte, dass sie auf der Zunge zu schmelzen begann. Sie hatte jemandem eine Freude gemacht, und das war ihr immer das Wichtigste gewesen. Sie dachte an den Mond, die Sonne, an den lieben Gott, mit dem sie immer im Gespräch gewesen war und der ihr gesagt hatte, dass er sie, wenn sie einmal schmelzen würde, neu erschaffen wird. Nicht nur als kleine Schneeflocke, sondern als unvergänglicher Schneeflockendiamant.

Bei diesem Gedanken war die kleine Schneeflocke sehr glücklich, denn sie wusste, dass Gott der einzige ist, der treu ist und sein Wort hält. Mit einem Lächeln schloss die kleine Schneeflocke ihre Augen. Es wurde ihr schön warm, und das war überhaupt nicht unangenehm, und sie sagte: „Danke, lieber Gott!“

Und die Mama der kleinen Schneeflocke dachte: „Wir werden uns wiedersehen, Flöckchen, das hat uns Gott versprochen, und er hält, was er versprochen hat.“

 „Danke, lieber Gott!“