Buchstaben im Kopf
Michael Wiegand
Intime Bekenntnisse eines kuriosen Tagebuches über Zahnpasta, Waffeln und Ziegen
Prolog mit Waffeln
In meinem ersten kuriosen Tagebuch gibt es einen Eintrag aus dem Oktober 2011 mit dem Titel ›Vollkornwaffeln‹. Worüber schreibe ich da wohl? Richtig, über Vollkornwaffeln. Über selbst gebackene Vollkornwaffeln ohne Zucker oder irgendwelche anderen Süßungsmittel. Und über eine Wanderung im Harz mit unseren Freunden Gabi und Uwe. Besagte Waffeln hatte ich als gesunden Beitrag zu unserem Picknick angekündigt, was auf spontane Begeisterung stieß. Als unsere Freunde auf der Wanderung dann in die Waffeln bissen, verschwand die Begeisterung genauso spontan wieder. Sie verunstalteten meine gesunden Waffeln, indem sie ein anderes übersüßes Gebäck in die Waffeln einrollten und meinten, damit schmeckten die Waffeln. Ich war entsetzt, es gab Beteuerungen, dass meine Waffeln doch lecker seien und Dialoge, die uns kurz vor einen Lachkrampf brachten. Ja, wir lachten viel und meine Waffeln waren in den Folgejahren ein regelmäßig wiederkehrendes Thema.
Vollkornwaffeln reloaded
3. Oktober 2021
Das war so nicht geplant, doch fast auf den Tag genau, 10 Jahre nach dem Vorfall mit den Waffeln, waren wir wieder mit Gabi und Uwe im Harz wandern. Wir wohnten etwa 80 Kilometer auseinander und in all den Jahren haben wir uns immer wieder mal gesehen. Zusammen im Harz wandern waren wir seitdem nicht wieder. Doch letzten Monat hatte Gabi oder Uwe, ich weiß nicht mehr, die Idee, das mal wieder zu tun.
»Ja super, sehr gerne«, sagte ich.
Mit Vorschlägen zum kleinen Picknick hielt ich mich nach der Erfahrung von vor 10 Jahren zurück, war jedoch überrascht, als Gabi fragte:
»Micha, backst du wieder Waffeln?« Sie bemühte sich, ernst dabei zu bleiben.
»Das kann ich sehr gerne machen. Tue dieses Mal etwas Zucker in den Waffelteig«, sagte ich. Jeder wollte etwas zum Picknick beitragen und Uwe wollte eine Tour aussuchen. Der Termin war schnell gefunden, wir freuten uns auf ein Wiedersehen in ein paar Wochen.
Nach den paar Wochen trafen wir uns in Goslar. Uwe führte uns nach einer Wander-App. Ab und zu bleib er stehen, schaute auf sein Telefon, zeigte dann in eine Richtung und sagte: »Wir müssen da lang.«
Während des Wanderns unterhielten wir uns über alle möglichen Themen und immer wieder wurde gelacht. Wer kontemplative Ruhe beim Wandern suchte, war in dieser Gruppe falsch. Meine Waffeln erwähnte ich die ganze Zeit über nicht. An einer vom Weg abgehenden Lichtung blieb Uwe stehen, schaute auf seine Wander-App, zeigte auf die Lichtung und sagte:
»Wir müssen da lang.«
Wie aus einem Mund sagten wir anderen:
»Das sieht nicht wirklich nach einem Weg aus.«
Uwe antwortete: »Wenn die App sagt, das geht da lang, dann sollten wir da auch lang gehen.«
Also sind wir da lang gegangen. Ein kaum zu erkennender Weg, an den Seiten von hohem Gras begrenzt, wurde sehr schmal. Dann hatte der kaum zu erkennende Weg keine Lust mehr und hörte einfach auf.
»Die App sagt, es geht hier lang«, sagte Uwe.
Wir lachten viel. Also gingen wir weiter, mittlerweile ohne Weg, in hohem Gras durch diese Lichtung. Menschen sind hier wahrscheinlich während der Völkerwanderung im 4 Jahrhundert das letzte Mal gegangen. An einer Stelle gingen wir Jungs ein paar Meter vor, damit die Mädels, na Sie wissen schon. Und gerade als die Mädels, na Sie wissen schon, sahen Uwe und ich, dass weiter vorne endlich ein richtiger Weg quer ging. Und gerade als Uwe und ich das sahen, entdeckten wir zudem, dass hier doch noch andere Menschen unterwegs waren. Eine kleine Wandergruppe kam uns entgegen. Wir drehten uns um und gaben Zeichen an die Mädels, die gerade, na Sie wissen schon. Ging am Ende knapp gerade nochmal gut. Wir lachten sehr viel. Nun ja, oben auf dem Weg angekommen schaute Uwe auf sein Telefon und sagte:
»Wir müssen da lang.«
Ich fragte: »Bist du sicher? Das sieht doch aus, wie ein Weg.«
Der Rest der Wanderung war entspannt und sehr schön. Nach etwa 8 Kilometern machten wir an einer Bank oberhalb des Granestausee's unserer Picknick. Wir nahmen Getränke und belegte Brötchen aus den Rucksäcken und bauten auf der Bank ein kleines Outdoor-Buffet auf. Dazu stellte Gabi einen relativ großen Behälter mit einer selbstgemachten Nussmischung und sagte:
»Die sind echt gesund. Wir nehmen so etwas immer mit, beim Wandern. Da sind auch Feigen drin.«
Schweigend stellte auch ich einen relativ großen Behälter zu dem Outdoor-Buffet. Ohne ihn zu öffnen. Mit einem ganz normalen, fast unschuldig anmutendem Gesichtsausdruck, als hätte es den Waffel - Vorfall vor 10 Jahren niemals gegeben, fragte Gabi:
»Sind da deine Waffeln drin? Mach doch mal auf.«
Ich öffnete den Deckel und die bereits in einzelne Herzen zerteilten Waffeln kamen zum Vorschein.
»Die sehen lecker aus, Micha«, sagte Uwe.
»Dieses Mal habe ich Zucker reingetan, Rohrzucker“, erwiderte ich.
Alle probierten wir ein Herz und die einhellige Meinung lautete: Dieses Mal schmecken die Waffeln und sind sehr lecker. Wobei ich vor zehn Jahren schon dieser Meinung war.
Um von dem Waffelthema abzuweichen, sagte ich über die Nussmischung, die mir gut gefiel: »Sowas machen wir auch, jedoch habt ihr mehr Sorten drin. Und Feigen, die sind cool.« Gabi nahm eine Feige, biss ein Stück ab und sagte: »Da kann man gut nach kacken.«
Vielleicht war das Waffelthema doch ganz gut. Auf jeden Fall kicherte Gabi ihr in solchen Situationen typisches Lachen. Ja, wir lachten viel und es war ein ganz wunderbarer Tag, den wir gemeinsam verbracht haben. Was im Nahhinein etwas traurig ist: Es hat 10 Jahre gedauert, bis wir wieder zusammen gewandert sind. Gesehen hatten wir uns in der Zwischenzeit des Öfteren. Und das Wunderschöne dabei: Wir machen jedes Mal sofort da weiter, wo wir das letzte Mal aufgehört haben. Ob ein paar Wochen zwischen den Treffen liegen oder auch Monate.
Der Zahnpasta Coup
8. Juni 2024
Neben ›Socken‹ ist ›Einkaufen‹ ein Thema, das sich durch mein Tagebuch zieht. So heute. Als ich an diesem Sonnabendnachmittag den Einkaufswagen aus dem Supermarkt schob, entdeckte ich auf dem Boden eine Tube Zahnpasta.
»Die hat wohl jemand verloren«, dachte ich.
Und eigentlich war es mir egal, dass die da lag. Heute wollte noch einiges erledigen und wenn ich die Tube aufhebe, dann nur, um sie irgendwo abzugeben. Das würde Zeit kosten und meinen Zeitplan gefährden. Ich hob die Tube auf. Wenn die hier liegt, liegt die bestimmt nicht so lange und der oder die Besitzer:in ist sicher auf dem Parkplatz zu finden. Diese Variante fand ich spannender, als die Tube einfach an der Info abzugeben. Draußen sah ich drei potenzielle Besitzer. Am nächsten waren die zwei Jungs, etwa 28 Jahre alt, die gerade Dosenbier ins Auto räumten. Auch wenn eine Tube Zahnpasta irgendwie nicht zu der Menge Dosenbier passte, ging ich auf sie zu und fragte:
»Hallo, habt ihr Zahnpasta verloren? Habe die gerade im Ausgang gefunden.«
»Nein, Du bist der glückliche Gewinner!«, antwortete einer der Jungs.
»Yeah, da freu ich mich!«, sagte ich und weiter, »Ich frage mal den Herrn gegenüber.«
Der Herr gegenüber blickte mich, nachdem ich ihn gefragt hatte, verständnislos an und murmelte etwas Unfreundliches in seinen Bart, den er nicht hatte.
»Okay, der ist raus«, dachte ich.
Weiter hinten war noch die Dame, die gerade ihren Einkauf ins Auto räumte. Ich schob meinen Einkaufswagen in ihre Richtung und fragte sie:
»Haben Sie vielleicht diese Zahnpaste verloren?«
Sie blickte mich an und sagte: »Ach, ich habe mich schon gewundert. Die war gar nicht auf dem Band.«
»Na, jetzt haben Sie sie ja wieder«, sagte ich, erleichtert die Besitzerin gefunden und eine kleine gut Tat getan zu haben.
Sie bedankte sich, ich verabschiedete mich und schob den Einkaufswagen zurück in Richtung der beiden Jungs. Die machten gerade jeder eine Dose Bier auf, stießen an und nahmen einen Schluck. Ich war kurz davor zu fragen, ob ich mit anstoßen könne.
Stattdessen sagte ich: »Ich habe die Besitzerin gefunden. Die Dame dahinten, mit dem strahlenden Lächeln.«
Das fanden die beiden dermaßen lustig, dass sie fast ihr Bier durch die Gegend geprustet hätten. Wie in diesen Instagram Videos, in denen sich zwei gegenübersitzen, den Mund voller Wasser haben und ein Dritter Witze erzählt. Auf jeden Fall freuten sich die beiden mit mir.
»Macht‘s gut, viel Spaß noch«, sagte ich und schob den Einkaufswagen in Richtung meines Autos. Auf dem Weg dahin kam mir der eine Satz der Dame mit dem strahlenden Lächeln wieder in den Sinn: ›Die war gar nicht auf dem Band‹.
Das heißt doch: Sie hatte die Tube Zahnpasta beim Bezahlen im Einkaufswagen übersehen. Die Tube lag die ganze Zeit im Einkaufswagen, ist niemals auf einem Kassenband gefahren, hat keine Treuepunkte erlebt und auf dem Weg aus dem Supermarkt ist die arme Tube aus dem Wagen gefallen. Ich hatte sie gefunden und der Dame das Diebesgut unbemerkt bis an ihr Auto geschmuggelt. Komme mir ein bisschen vor wie Bonnie & Clyde. Ich glaube, ich gehe zu den Jungs zurück, auf ein Bier.
Ziegen Eddi
9. Mai 2024
Beim ersten Steg-Konzert der Saison Steg in Klein Venedig an der Vita Villa in Wolfenbüttel entdeckte ich Ziegen Eddi. Den hatte ich ewig nicht gesehen und freute mich. Als ich auf ihn zugehen wollte, dachte ich:
»Nein, das ist er doch nicht. Er sieht ihm nur sehr ähnlich.«
Dann lächelte er. Dann lachte er und ich war sicher: Das ist das typische Ziegen Eddi Lächeln und Lachen. Doch das war er. Gehe hin und sprach ihn an:
»Hallo Eddi, wie geht’s?«
Er schaute sehr verwundert und schien es wohl doch nicht zu sein. Ziegen Eddi hatte auch nicht geraucht.
»Entschuldigung, da habe ich sie wohl doch mit jemandem verwechselt, dem Sie wirklich sehr ähnlichsehen.«
Die neben ihm sitzende Dame fragt:
»Mit wem hast du ihn denn verwechselt?«
»Mit Ziegen Eddi. Der stand jahrelang auf dem Wolfenbütteler Wochenmarkt und hat seinen, für mich den besten Ziegenkäse der Welt, verkauft.«
Und zu dem Double von Ziegen Eddi sage ich: »Sie sehen ihm wirklich sehr ähnlich.«
»Kannst ihn ruhig duzen«, sagt die Dame neben ihm.
»Habe schon mal gehört, dass ich einen Doppelgänger haben soll«, sagt Ziegen Eddi.
In der kleinen Runde steht auch ein Herr von eher untersetzter Statur mit einer Glatze und der sagt: »Das passiert mir ständig. Ich werde immer mit George Clooney verwechselt.«
Intime Bekenntnisse eines Harzer, Versuch 2
16. Juni 2024
Wie war das doch, an den Abenden, als ich die letzten Seiten meines ersten kuriosen Tagebuches schrieb und zur Feier des Tages ausnahmsweise Bier statt Tee dabei getrunken hatte? Ideen zu den ›Intimen Bekenntnissen eines Harzers‹ waren mir gekommen. Der erste Versuch lief nicht so gut. Könnte doch jetzt hier mal loslegen. Die Vorstellungen an die Sommer meiner jungen Jahre in meinem Heimatdorf Lerbach und los geht es. Habe allerdings Hemmungen, mir jetzt, sonntagmorgens, um halb sechs ein Bier aufzumachen. Und so verfasse ich statt der ›Intimen Bekenntnisse eines Harzers‹ einen Beitrag zum Schreibwettbewerb der Bücher-Heimat in Bad Harzburg. Na immerhin, der Harz kommt schon mal vor.