Buchstaben im Kopf
Amelia Julie Ruhe
Verfolgt
Panik breitete sich in mir aus und eine Welle der Verzweiflung und Angst traf mich mit einer so höllischen Kraft, dass ich sofort unter ihr begraben wurde. Wie ein hilfloses kleines Mädchen das nicht schwimmen kann versuchte ich wild strampelnd an die Oberfläche zu gelangen und wieder die Kontrolle über meinen Körper zu gewinnen. Doch es gelang mir nicht. Schmerzen breiteten sich an meinem Bauch aus und meine Augen füllten sich mit Wasser. Ein Schleier bildete sich vor meinen Augen und ich spürte wie sich der kräftige Körper hinter mir bewegte. Durch meine benebelte Sicht nahm ich gerade noch wahr, wie ich immer weiter von der Straße in eine dunkle Gasse gezerrt wurde.
Verzweifelt versuchte ich um Hilfe zu rufen, doch durch die Hand die meinen Mund bedeckte brachte ich nur ein Wimmern heraus. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich rang unter dem Festen Griff des Mannes hinter mir verzweifelt nach Luft. Tränen liefen meine heißen Wangen hinunter. Nein! Ich spürte wie mein Herz begann zu rasen. Es fühlte sich an als ob es mir jeden Moment aus der Brust springen würde. Mit all meiner Kraft drehte und wandte ich mich, doch es half nichts. Nein! Nein! Nein! Das darf nicht passieren! Meine Bewegungen wurden langsamer. Ich bekam kaum noch Luft und drohte Ohnmächtig zu werden. Meine Haut wurde heiß und ich hatte das Gefühl als ob sie brennen würde. Stur kämpfte ich mit all der Kraft die ich aufbringen konnte gegen das schmerzhafte Pochen in meinem Kopf an. Konzentrier dich Luisa! Konzentrier dich!
Ich schloss meine Augen und drosselte meine Atmung. Allmählich schaffte ich es mich zu beruhigen und gewann stück für stück wieder die Kontrolle über meinen Körper. Die Welle der Angst und Verzweiflung nahm ab und dafür flammte etwas anderes in mir auf. Wut. Sie durchströmte mich von Kopf bis Fuß, bis in den letzten Winkel meines Körpers und brachte mein Blut zum Kochen. Neue Kraft sammelte sich in mir und wartete nur darauf rauszuströmen. Ich fühlte mich wie eine tickende Zeitbombe die nur darauf wartete zu explodieren. Jetzt musste ich nur noch auf den richtigen Moment warten.
Mit zu Fäusten geballten Händen wartete ich… und da war er der Moment! Ich spürte wie der Mann hinter mir stehen blieb und seinen Griff etwas lockerte. Jetzt oder nie! Blitzschnell öffnete ich meine Augen und schob im selben Moment meine Hüfte ein kleines Stück zur Seite. Die Bombe in mir explodierte und mit all meiner gesammelten Kraft schlug ich mit meiner Faust zwischen seine Beine. Er stieß einen qualvollen Schrei aus und ließ mich los. Ohne zu zögern stieß ich ihm meinen Ellbogen ins Gesicht, bevor ich von ihm Weg sprintete. Erneut schrie er auf und fluchte, aber ich sah nicht zu ihm zurück, sondern lief einfach weiter. Doch ich kam nicht weit, denn ein anderer Mann blockierte mir den Weg. Ich blieb abrupt vor ihm stehen und funkelte ihn wütend an.
„Geh mir aus dem Weg!“: zischte ich ihm ins Gesicht und machte Anstalten weiter zu gehen. „Immer noch so wild und zäh wie früher!“: höhnte er und baute sich vor mir auf. Erneut sah ich hoch, in sein Gesicht. Eine Narbe zog sich quer durch sein Gesicht, vom Haaransatz bis zum Kinn. „Und du bist immer noch so hässlich wie früher!“: erwiderte ich spöttisch und verzog gespielt angewidert das Gesicht. Das überhebliche Grinsen des Mannes wurde breiter und er entblößte seine Zähne, von denen einer wie Gold glänzte. „Geh mir aus dem Weg!“: wiederholte ich meinen Satz, diesmal lauter und eindringlicher als vorher. Der Mann wurde innerhalb eines Wimpernschlags ernst, seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen und sein Lächeln verschwand. „Erst muss ich mit dir noch eine Rechnung begleichen!“: knurrte er und knirschte mit den Zähnen. Ich verzog die Lippen. „Später!“: erwiderte ich gehässig und ging auf ihn los.
Kaum hatte ich einen Schritt auf ihn zu gemacht, flog seine Faust auf mein Gesicht zu. Instinktiv trat ich einen Schritt zur Seite und drehte mich. Ich spürte den Windhauch direkt an meinem Gesicht vorbeiziehen. Adrenalin breitete sich in meinem Körper aus und mein Herz begann wie verrückt zu schlagen. Sofort packte ich seinen Arm mit der einen Hand am Handgelenk und zog ihn zu mir, während ich mit der anderen im gleichen Moment gegen seinen Ellenbogen drückte. Er schrie vor Schmerz auf als es begann zu knacken.
„Du kleines Miststück!“: zischte er, ging blitzschnell einen Schritt zurück, wirbelte herum, zog seinen Arm aus meinem Griff und schlug erneut in meine Richtung. Diesmal sprang ich nicht zur Seite, sondern ließ meinen Arm vor meinem Gesicht nach oben sausen und wehrte seinen Schlag nach oben ab. Ich spürte wie mein Arm vor Schmerz begann zu pochen als ich seinen von mir wegstieß. Doch jetzt konnte ich es mir nicht erlauben mich auf was anderes als meinen Gegner zu konzentrieren. Ich blinzelte den Schmerz weg. Mein Blick traf seinen für einen kurzen Augenblick und ich sah wie seine Augen vor Zorn glühten. Ich biss mir auf die Zähne und konterte seinen Schlag bevor er Zeit hatte zu reagieren. Blitzschnell schoss mein Fuß nach vorne und fand sein Ziel genau zwischen den Beinen meines Rivalen. Ein Schmerzensschrei verließ seine Lippen und er verzog vor Schmerz das Gesicht. Ein winziges Lächeln huschte über mein Gesicht bevor ich ihm den Rücken zudrehte um wegzurennen.
Mir wurde erst als zu spät war der Fehler meines Handelns bewusst als ich aus dem Augenwinkel sah wie sich mir eine riesige Hand nährte. Lass deinen Gegner niemals aus den Augen! Mit einem lauten Knall der in der ganzen Gasse widerhallte, traf die Hand mein Gesicht. Brennender Schmerz breitete sich in meiner linken Gesichtshälfte aus und fraß sich durch meine Haut wie ein Käfer durch Bäume. Ich spürte wie Blut aus meiner Nase floss und sich Tränen in meinen Augen bildeten. Der Schlag traf mich so heftig, dass ich zu Boden geschleudert wurde. Mir tat alles weh und für einen Bruchteil einer Sekunde hörte ich nur noch ein ständiges, lautes Piiieep in meinen Ohren. Vor meinen Augen tanzten lauter leuchtende Sterne und durch ein ständiges Pochen in meinem Kopf, konnte ich nicht mehr klar denken. Dann spürte ich wie mich jemand an den Haaren packte und ruckartig hochzog. Ich biss mir vor Schmerz so fest auf die Lippen, dass auch diese anfingen zu Bluten. Meine vor Schmerz zitternden Arme wanderten nach oben über meinen Kopf und ich umklammerte die raue Hand die mich unerbittlich weiter nach oben zog, bis meine Füße den Boden nicht mehr berührten. Ich sah den Mann wutentbrannt an meine Lippen verzogen sich angewidert.
„Du wirst mich niemals kriegen!“ Meine Stimme war kaum mehr als ein hauchen, aber laut genug damit er es hören konnte. Er machte gerade den Mund auf um etwas zu sagen, als ich erneut angriff. Ich hörte nur noch das Blut in meinen Ohren Rauschen und spürte wie sich meine Muskeln straften. Bevor er verstand was passierte, hatte ich meinen Angriff ausgeführt. Ich zog mich an seiner Hand hoch, stieß mich mit den Füßen von der Wand hinter mir ab und trat ihm mit meinem Fuß ins Gesicht. Es knackte erneut. Er ließ meine Haare los und taumelte eine Hand auf seiner Nase ein paar Schritte zurück. Mit einem dumpfen Aufprall landete ich mit dem Rücken auf dem steinernen Boden. Ich spürte wie mir durch den Aufprall die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Angst überflutete mich wieder und ich rang nach Luft.
Hustend rappelte ich mich auf und meine zerzausten, staubigen Haare fielen mir ins Gesicht. Blinzelnd betrachtete ich den Mann durch das Netz aus braunen Haaren vor meinen Augen. Aus seiner Nase tropfte Blut und seine rechte Hand war volles Blut. Ich ballte meine Hände zu Fäusten holte noch einmal tief Luft und… rannte. Adrenalin schoss durch meinen Körper und füllte jede Zelle in mir mit neuer Energie. Es fühlte sich an als wäre mein ganzer Körper elektrisch geladen. Meine Füße hämmerten auf den Boden und Schweiß rann meine Stirn hinunter, aber ich fühlte keinen Schmerz mehr und auch keine Wut. Alles um mich herum schien in eine Art Schleier gehüllt zu sein. All die Geräusche und die Lichter nahm ich kaum wahr. Sie vermischten sich mit meinem Herzschlag und Schweiß bedeckte langsam meine Augen. Ich sprintete durch die Straßen vorbei an den vielen Menschen und zurück nach Hause. Nur ein Gedanke schwirrte währenddessen in meinem Kopf rum und ließ mir keine Ruhe. Wie hat er mich gefunden?
Und dann traf es mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich stoppte direkt vor meiner Haustür, meine Hände zitterten, mein Atem stoppte. So schnell wie die Energie meinen Körper durchflutet hatte verschwand sie auch wieder. Alles um mich herum begann langsam schwarz zu werden, meine Beine gaben nach und ich sackte zu Boden. Schlaff und jeder Kraft beraubt hingen meine Arme an meinen Seiten. Eine Träne bahnte sich einen Weg durch mein verstaubtes Gesicht. Meine Stimme zitterte heftiger und alles was aus meinem Mund kam war ein leises Wimmern. „I-ich werde ihm nie entkommen.“