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Buchstaben im Kopf

zum Wettbewerb

Josephine Pape

Wenn alles still steht

21. März 2024
16-21 Jahre

Ich saß am Rand meiner Fensterbank des geöffneten Fensters und blickte auf die Ostsee. Ich hörte die Wellen rauschen und das Wasser schimmerte in einem wunderschönen Dunkelblau. Ich konnte mich nie satt sehen an diesem Anblick. Ich spürte den Wind in meinem Haar. Ein vertrauter Geruch. Mein Gesicht suchte nach den Sonnenstrahlen. Ich glaube, ich fühlte mich noch nie so glücklich. Doch dann erwachte ich aus meiner friedlichen Trance und hörte eine Stimme. Wer war das?

„Marie!“. Es war meine Mutter. 

Ich antwortete nicht, aus einem Grund, den ich mir selber nicht erklären konnte. Ich ging unsere wunderschöne Holztreppe hinunter, wo mich Bilder aus meiner Kindheit anlächelten. Ich fragte „Was ist denn?“, und sah meine Mutter weinend und blass am Küchentisch sitzen. Ich war völlig schockiert und merkte schlagartig ein Zittern in meinem Körper. „Oma ist gestorben...“, sagte sie völlig außer sich. Ich war wie paralysiert und merkte einen Stich in meinem Bauch. Es fühlte sich so an, als ob mir was weggenommen wurde. Mein Fels in der Brandung... meine geliebte Oma... Ich ging, ohne nachzudenken, zu meiner Mutter und umarmte sie. Ich spürte ihren Schmerz.

Ich fühlte mich hilflos. Doch ich musste nicht weinen. Wir verblieben eine Weile in der Umarmung. Jedoch tröstete ich eher meine Mutter. Denn ich konnte noch nicht realisieren, was passiert war. Meine Mutter musste zu meinem Opa. Sie konnte ihn so nicht alleine lassen. Zumindest haben wir noch ihn. Sie bot mir an mitzukommen. Doch ich war noch nicht bereit ihn zu sehen. Als sie ging, überkam mich das Gefühl der Einsamkeit. Was mir bereits bekannt war, seitdem uns mein Vater verlassen hatte.

Ich ging in mein Zimmer und hörte auf meinem Plattenspieler Bob Marley. Sonst brachte seine Musik mir ein Gefühl von Schwerelosigkeit und Glück, heute musste sie mich trösten. Als die Schallplatte zu Ende war, bekam ich Panik. Die Wände kamen immer näher. Sie waren so dünn wie Haut, ich hörte alles. Es war einfach alles zu viel. Ich rannte die Treppe hinunter und aus der Haustür. Ich musste einfach raus.

Plötzlich prallte ich gegen einen Jungen. „Hey, kannst du nicht aufpassen“. Es war Dean. Ein Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus. „Dean...“, sagte ich voller Erstaunen. „Marie, geht es dir nicht gut?“, fragte Dean irritiert. Mein Kopf sank auf meine Brust. Ich musste mich überwinden, um zu sagen, was passiert war. „Meine Oma sie... ist ... gestorben...“, sagte ich mit zitternder Stimme. Er schlang seinen Arm um mich. Woraus ich mich befreite, denn plötzlich fiel mir ein, dass ich Nelson im Haus vergessen hatte. Ich stürzte zurück ins Haus. Dean wartete draußen. Nelson stürmte aus der offenen Haustür sprang begeistert an ihm hoch. „Na, du toller Hund“, wehrte Dean ihn liebevoll ab. Erneut legte er den Arm um mich, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab. Ich erzählte ihm davon, wie ich es erfahren habe, wie ich und meine Mutter reagierten und auch wie ich plötzlich Panik bekommen habe.

Ich kenne Dean seit der ersten 1. Klasse. Nun sind wir in der 10. Klasse. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Es kommt mir vor, als ob es gestern gewesen wäre, als wir auf dem Spielplatz spielten und tatsächlich Sand gegessen haben. Das würde ich übrigens nicht empfehlen, schmeckt nicht. Ich war so in unser Gespräch vertieft und achtete auf Nelson der spielend herumrannte. Zumindest war er glücklich. Dean führte mich zu einer wunderschönen Blumenwiese, sie war zu dieser Jahreszeit voller Nelken, Gänseblümchen, Tulpen und viele Wildblumen, die ich nicht identifizieren konnte. Nelson wälzte sich genussvoll in ihnen. Plötzlich ließ sich auch Dean in die Blumen fallen. Dean war sehr groß, mindestens 1,90 m. Er hatte blonde Haare und haselnussbraune Augen. Seine Augen schimmerten in der Sonne. Ich war schon lange in ihn verliebt und heute, wo alles so schrecklich war, musste er auch meinen Verstand verwirren. Ich ließ mich neben ihm fallen. Wir mussten beide lachen, denn ich stellte mich nicht besonders geschickt dabei an. Wir lagen einfach nebeneinander auf dieser duftenden Wiese.

Einige Stunden waren vergangen. Nelson war eingeschlafen vom vielen Spielen. Ich und Dean haben über vieles gesprochen. Ich weiß, dass er mich nur trösten wollte. Doch unser Zusammensein machte mich trotz allem glücklich. Schon so glücklich, dass ich mich schlecht fühlte, weil meine Oma heute gestorben war. Daraufhin verstummte ich. Dean guckte mich genau an. „Du weißt, dass du nicht schlecht fühlen musst, dass du gerade glücklich bist, oder?!“, fragte Dean leise. Ich schüttelte den Kopf. „Dean, ich habe nicht einmal geweint und sitze jetzt lachend mit dir hier, ich fühle mich schlecht.“ Ich blickte traurig zu Boden.

„Das musst du nicht, ich habe doch gemerkt, wie viel sie dir bedeutet. Sie hätte bestimmt nicht gewollt, dass es dir lange schlecht geht. Das Glück, was du gerade spürst, hat nichts mit ihrem Tod zu tun“. Ich konnte ihn nicht angucken. Er hatte Recht und trotzdem fühlte ich mich so, als ob ich der grauenhafteste Mensch der Welt wäre. „Erzähl mir von ihr.“ Ich war überrascht und guckte ihn an wie ein hilfloses Reh. „Komm schon“, forderte er mich auf.

Ich legte mich zurück und fing an. Während ich von den Erlebnissen mit meiner wundervollen Oma redete, überkam mich der Geruch der Blumen. Genauso wie sie immer gerochen hat. Ich sah die Landschaft voller Blumen, Bäumen und zwitschernden Vögeln. Ich wusste genau, dass ihr das hier gefallen hätte. Sie liebte Tiere und Natur. Und die Welt stand für einen kurzen Moment still. Dann dachte ich mir, vielleicht war sie jetzt der Wind, der mich begleitet, die Blumen, die so rochen wie sie und vielleicht steckte sie in jedem Tier.

Plötzlich fing ich an zu weinen. Endlich, dachte ich mir. Dean umarmte mich. Das Gefühl der Tränen, die mein Gesicht hinabflossen, war wie ein zärtliches Streicheln.

Diese Gefühle brachten mir komischer Weiser einen gewissen Frieden.

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